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Künstliche Intelligenz für die Pflege

Die Pflege ist an vielen digitalen Prozessen beteiligt – umso wichtiger, dass sie sich ernsthaft damit auseinandersetzt, wie die digitale Transformationen den Pflegefachpersonen dienen kann, damit ein Nutzen sowohl für Pfegefachpersonen als auch die Patient:innen entstehen.

Text: Friederike J.S. Thilo, Renate Ranegger, Werner Hackl

Die Profession Pflege ist aufgrund ihrer zentralen Stellung in der Gesundheitsversorgung an vielen digitalen Prozessen beteiligt. Es ist an der Zeit, dass sich die Pflege ernsthaft damit auseinandersetzt, wie die digitale Transformation der Profession dienen kann und muss. Entscheidend dabei ist, dass die Digitalisierung so gestaltet wird, dass jeweils ein klar definierter und wahrnehmbarer Nutzen in der pflegerischen Versorgung und Betreuung, sowohl für die Pflege selbst als auch für die betreuten Menschen, entstehen kann.

Künstliche Intelligenz – KI – ist in aller Munde und folglich lohnt es sich, sich intensiver mit diesem digitalen Werkzeug auseinanderzusetzen. Was oft übersehen wird, ist, dass die Entwicklung von KI bereits in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts begann. Der «kometenhaft» scheinende Aufstieg von KI in den Alltag eines jeden Menschen liegt an ihrer verbesserten Perfomance. KI konnte diese entfalten, da sie Zugang zu grossen Datenmengen nutzt, die Rechenleistungen sich verbessert haben, statistische Analysemethoden optimiert wurden und inzwischen hohe Speicherkapazität anzutreffen sind.

Es ist aber ebenfalls zu sagen, dass bestimmt auch die Anwendung ChatGPT dazu beigetragen hat, dass KI-Anwendungen Teil des Alltags der Menschen wurden. Es ist anzunehmen, dass es sich bei ChatGPT um einen weiteren Meilenstein der vom Menschen getriebenen technischen Evolution handelt. Genauso wie die Entwicklung der Schrift, des Rades, des Buchdrucks, der Elektrizität, des Radios, des Telefons, des Computers, des World Wide Web oder des iPhones, das wiederum Urahn einer Fülle von smarten Wearables ist.


Was kann KI wirklich?

KI-Anwendungen wurden in der Pflege bislang besonders für die direkte Patientenversorgung entwickelt, das heisst für Intensivstationen und Intermediate-Care-Einheiten, für die Wundversorgung, für das Delir- oder Austrittsmanagement sowie für die Bereiche Sturz, gesundheitliche Notfallsituationen oder Infektionen, primär in der Versorgung älterer Menschen. Aber auch in den Anwendungsbereichen Pflegefachsprachen, -dokumentation, Management (Personal), Bildung und Verwaltung (Kompetenzen) spielt KI bereits eine Rolle. Trotz dieser relevanten Anwendungsbereiche zeigt die Literatur zwei ernstzunehmende Limitationen, denen wir uns in den kommenden Monaten und Jahren widmen müssen:
Erstens: Die Profession Pflege entwickelt, testet und pilotiert, wohl verstanden in der benötigten interdisziplinären Zusammenarbeit, bislang noch kaum KI-Anwendungen. Es sind aktuell noch andere Disziplinen im Lead.
Zweitens: Es fehlt an Untersuchungen, die die Wirkung von KI-Anwendungen im klinischen Alltag aufzeigen, wie verbesserte Patientenoutcomes oder verbesserte klinische Entscheidungsfindung. Dies lässt sich jedoch damit erklären, dass bislang die datenbasierte Entwicklung und Testung von KI-Anwendungen im Fokus steht, ohne genügende Implementierung in der täglichen klinischen Praxis.

 

Praxisunterstützende Nutzungsmöglichkeiten

Zu der Frage, welche praxisunterstützenden Nutzungsmöglichkeiten KI-Anwendungen in der Pflege haben oder haben können, hat unser Interviewpartner Werner Hackl mit ChatGPT diskutiert. Hier sind einige ihrer Ideen:
- Patientenüberwachung: KI-Anwendungen können in Echtzeit Vitalparameter überwachen und Pflegefachpersonen benachrichtigen, wenn Abweichungen auftreten. Dies kann dazu beitragen, dass Patient:innen schneller Hilfe erhalten und potenzielle Komplikationen vermieden werden.
- Pflegeplanung und -dokumentation: KI-Anwendungen können Pflegende bei der Erstellung von individuellen Pflegeplänen unterstützen und die Dokumentation von Pflegeinterventionen erleichtern. Dies spart Zeit und sorgt für eine genauere und umfassendere Aufzeichnung der Pflegeleistungen.
- Patientenaufklärung: KI-Anwendungen können als interaktives Werkzeug genutzt werden, um Patient:innen und ihre Familien über Krankheiten, Behandlungen und Pflegepraktiken aufzuklären. Dies kann dazu beitragen, dass Patient:innen besser verstehen, was während ihres Aufenthalts in der Pflegeeinrichtung geschieht, und sie in den Pflegeprozess aktiv einbeziehen.
- Datenerfassung und -analyse: KI-Anwendungen können automatisch Daten erfassen und analysieren, um Trends und Muster zu identifizieren, die dabei helfen, die Pflegepraxis zu verbessern und die Qualität der Pflegeleistungen zu erhöhen.

KI wird aber die Pflege nie ersetzen. Sie wird ein neues Werkzeug sein, dessen sich die Pflegende bedienen werden. Und dazu brauchen sie natürlich die entsprechenden Kompetenzen. Deshalb sind zwei Dinge sehr wichtig: die Mitgestaltung der Pflege von KI-Anwendungen und die wissenschaftlich begleitete Einführung in die Pflegepraxis. Je mehr Pflegefachpersonen sich mit dem Thema auseinandersetzen, Anforderungen an KI-Anwendungen stellen sowie KI-Anwendungen testen, beurteilen und verbessern oder klar kommunizieren, wenn KI-Anwendungen untauglich bleiben, desto mehr können Pflegefachpersonen bereits durch diese Massnahmen Kompetenzen und Fertigkeiten aufbauen. Die Einführung von KI in die Pflegepraxis muss sorgfältig und ethisch erfolgen, wobei die Bedenken und Perspektiven von Pflegefachpersonen und Expert:innen zu berücksichtigen sind. Schulung und Fortbildung sind entscheidend, um sicherzustellen, dass Pflegefachpersonen über das Verständnis und die Fähigkeiten verfügen, um KI-Anwendungen effektiv zu nutzen und kritisch zu bewerten.

 

Zuverlässigkeit von KI-Anwendungen

Die Zuverlässigkeit von KI-Anwendungen hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter die Qualität der verwendeten Daten, die Genauigkeit der Algorithmen und die Art der Anwendung. Expert:innen sind sich bewusst, dass KI-Systeme nicht fehlerfrei sind und dass Fehlinterpretationen auftreten können. Daher ist es wichtig, KI-Anwendungen als unterstützende Werkzeuge zu betrachten, die den Pflegefachpersonen zusätzliche Informationen und Einblicke liefern, aber nicht als ausschliessliche Grundlage für medizinische und pflegerische Entscheidungen.

 

Herausforderungen von KI-Anwendungen

Die grössten Herausforderungen für KI im Gesundheitswesen und in der Pflege umfassen Datenschutz, Transparenz von Entscheidungen, ethische Implikationen, Integration in die Workflows, regulatorische Rahmenbedingungen, Patient:innen­akzeptanz und Ressourcenungleichheit. Es ist entscheidend, Datenschutzmassnahmen zu stärken, transparente KI-Entscheidungen zu gewährleisten, ethische Leitlinien zu etablieren und die Integration von KI in den klinischen Workflow zu planen. Regulatorische Standards müssen geschaffen werden, um die Einführung von KI zu unterstützen, und die öffentliche Aufklärung ist wichtig, um das Vertrauen der Patient:innen zu gewinnen. In der Pflege muss die Implementierung von KI sensibel erfolgen, um die menschliche Fürsorge zu ergänzen, nicht zu ersetzen. Schliesslich sollte der Zugang zu KI-Anwendungen für alle Bevölkerungsgruppen gewährleistet werden.

Besonders wichtig ist zudem eine robuste Dateninfrastruktur. Die vorhandenen Gesundheitsdaten müssen in einer strukturierten und sicheren Umgebung gespeichert werden, um eine effektive Nutzung durch KI-Anwendungen zu ermöglichen. Unerlässlich sind auch die Sicherung der Qualität und Integrität dieser Daten, da sie direkt die Leistungsfähigkeit der KI beeinflussen. Es ist daher bedeutend, dass die Daten entsprechend aufbereitet sind, um den Anforderungen der KI-Anwendungen gerecht zu werden.

 

Mitgestalten, um einen besseren Job machen zu können

Es wird klar: KI muss der Pflegefachperson dienen. KI bietet eine Ausgangslage beziehungsweise eine spezifische Momentaufnahme, aber die Pflegefachperson bringt ihr Fach- und Kontextwissen, die Patientenpräferenz, die wissenschaftliche Evidenz sowie die vorhandenen Ressourcen in die Entscheidung ein. Dann kann KI die Pflegefachperson dabei unterstützen einen noch besseren Job zu machen.

Die Pflegeprofession muss aktiv die Gegenwart und Zukunft der digitalen Transformation mitgestalten. Dabei sind nicht bloss digitale Lösungen wie KI-Anwendungen erforderlich, sondern vielmehr eine Kombination aus Risikobereitschaft und präziser Anforderungskommunikation. Es ist daher unabdingbar, unvollkommene digitale Werkzeuge im täglichen Gebrauch zu testen und gründlich zu beurteilen. Dies ermöglicht die Formulierung präziser Anforderungen, die erfüllt werden müssen, damit sowohl Pflegefachpersonen als auch Patient:innen einen wirklichen Nutzen aus den digitalen Werkzeugen ziehen können. Eine digitale Lösung sollte ohne Erfüllung dieser Anforderungen keine Legitimation erhalten.

krankenpflege

Dieser Schwerpunkt erschien in der Ausgabe 1/2024 der Krankenpflege, der Fachzeitschrift des SBK.

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