Belastungsgrenze ist überschritten – Pflegeversorgung ist gefährdet

Warnruf! Die Ethikkommission des Berufsverbandes der Pflegefachpersonen SBK-ASI fordert Sofortmassnahmen. Die Belastungsgrenze ist überschritten – Pflegeversorgung ist gefährdet.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Mitglieder des Bundesrats,
sehr geehrte kantonale Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren,


Die Mitglieder der Ethikkommission vom Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner haben an ihrer Sitzung im Dezember 2022 die Situation in der Pflegebranche besprochen. Die täglichen Erfahrungen und Praxiseinblicke der Kommissionsmitglieder geben Anlass zu grosser Sorge. Sie haben die Kommission veranlasst, sich mit ihren Beobachtungen und mit konkreten Handlungsaufforderungen an die verantwortlichen Exekutivpolitiker: innen zu wenden. Denn die Belastung des Gesundheitspersonals ist seit vielen Jahren hoch. Die latente Überlastung hält drei Jahre nach Beginn der Corona-Epidemie weiterhin an. Die Dreifachwelle von Corona-Fällen, Grippe-Erkrankungen und RS-Virusinfektionen führt dazu, dass die Überlastungsschwelle überschritten ist. Dies zeigt die Personalentwicklung im Gesundheitswesen.

In allen Landesteilen und in allen Pflegebereichen - wie Akutspital, Psychiatrie, Pflegeheimen oder Spitex - fehlen Gesundheitsfachpersonen. Viele haben den Beruf verlassen, wegen Enttäuschung, Erschöpfung oder Krankheit. Auch wird viel zu wenig Gesundheitspersonal ausgebildet und die problematische Rekrutierung aus dem Ausland ist schwieriger geworden.

In den Spitälern und Langzeitinstitutionen sind Hunderte von Betten aufgrund des Fachpersonalmangels geschlossen worden. Für die Patient:innen bedeutet dies:

  • Sie werden zu früh aus dem Spital entlassen. Der hohe Zeitdruck führt zu mehr Behandlungsfehlern.
  • Spitalaufenthalte sind trotz ausgewiesenem Bedarf nicht oder erst verzögert möglich. Verzögerte Behandlungen erhöhen das Leid und führen zu höheren Behandlungskosten.
  • Menschen mit Pflegebedarf erhalten immer häufiger einen Pflegeplatz, der weit entfernt von ihrem Wohnort ist. Eine familienzentrierte Pflege ist so kaum mehr möglich.

Die Lücke zwischen dem Pflegebedarf und den realen Behandlungs-Möglichkeiten wird immer grösser. Dadurch sinken die Pflegequalität und die Patientensicherheit.

Die physische und die mentale Belastung der Pflegefachpersonen hat ein gesundes Mass überschritten. Die Situation spitzt sich weiter zu. Tag für Tag verlassen zahlreiche ausgebildete Pflegefachpersonen und Fachpersonen Gesundheit (FAGE) den Beruf. Gleichzeitig sinkt die Berufsattraktivität und damit die Zahl der Personen, die eine Lehre als Fachperson Gesundheit oder ein Studium als diplomierten Pflegefachperson beginnen.

 

Sofortmassnahmen sind möglich – erste Institutionen haben reagiert

Einige wenige Institutionen haben Verbesserungen für das im Beruf verbleibende Pflegepersonal in die Wege geleitet oder umgesetzt. Punktuelle Massnahmen können den fortschreitenden Abbau der Pflegequalität nicht verhindern. Sie erhöhen die Attraktivität der Arbeitgeber mit besseren Arbeitsbedingungen, führen aber bei Betrieben mit knappen finanziellen Ressourcen zu weiteren Personalabgängen.

Vermehrt werden Pflegende über Personalvermittler eingestellt. Dadurch steigen die Personalkosten. Dies belegt, dass die finanziellen Mittel vorhanden sind, wenn der Druck genügend hoch ist.

Um die Pflegeversorgung in der Schweiz aufrecht erhalten zu können, braucht es folgende Massnahmen:

  1. Sofortiges Massnahmenpaket zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen
    Diese enthält Lohnerhöhungen/Arbeitszeitsenkungen, Noteinsatzzulagen, die effektive Umsetzung des Arbeitsgesetzes und bessere familienergänzende Kinderbetreuungsangebote. Die Kantone werden aufgefordert, die Einhaltung des Arbeitsgesetzes zu kontrollieren und Massnahmen gegen Institutionen zu ergreifen, welche gegen das Arbeitsgesetz verstossen.
  2. Aktuelle Übersicht zur Pflegeversorgung
    Zu evaluieren sind: Anzahl geschlossene Betten, Anzahl nicht aufgenommener Patient:innen und Klient:innen, Anzahl der im Beruf verbleibenden Pflegefachpersonen, Statistik der Berufsaussteigenden im Verhältnis zu den Berufseinsteigenden
  3. Zieldefinition der Personalausstattung
    Die Kantone ermitteln den Pflegebedarf und weisen die Differenz zwischen Ist/Soll aus. Sie leiten Sofort-Massnahmen ein, um die Zielvorgabe zu erreichen. Um die Sicherheit der Patient:innen gewährleisten zu können, braucht es verbindliche Vorgaben für die Zusammensetzung der Teams, mit einem genügend hohen Anteil an gut ausgebildeten und qualifizierten Pflegefachpersonen.

In der Verantwortung stehen die politischen Behörden und Führungs- und Entscheidpersonen der Institutionen. Die Bevölkerung hat der Pflegeinitiative mit 61 Prozent zugestimmt. Auf Bundesebene laufen die Umsetzungsarbeiten der Pflegeinitiative. Die erste Etappe der Umsetzung der Pflegeinitiative (Ausbildungsoffensive) ist eine Investition in die Zukunft. Sie nützt aber allen Pflegenden nichts, die derzeit im Beruf arbeiten. Die zweite Etappe (Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Sicherstellung Pflegequalität und Patientensicherheit) wird erst in einigen Jahren Wirkung entfalten.

Aus diesem Grund ist es zwingend, jetzt zu handeln – um die Pflegequalität zu sichern und die Arbeitnehmer:innen in der Pflege zu schützen. Sonst steigt die Zahl der vermeidbaren Fehler und vermeidbaren Todesfälle an.

Freundliche Grüsse

Für die SBK-Ethikkommission
Roswitha Koch, Leiterin Abteilung Pflegeentwicklung
Sophie Ley, Präsidentin SBK

 

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Kommentare

Wenn die Pflegeversorgung gefährdet ist, ist auch die Gesundheitsversorgung gefährdet. Was es jetzt braucht sind in erster Linie die Gesundheitsdirektoren. Sie sind haben die oberste Leitung und damit die Verantwortung für die Gesundheitsversorgung. Jetzt müssen die Gesundheitsdirektionen nachbessern was die Verwaltungsräte verlauert haben. Dazu müssen sie schweres Geschütz hervorholen. Ich denke da wie Yvonne Ribi an Rettungsschirme. Darunter wird es wahrscheinlich nicht zu richten sein.

Wir brauchen einen GAV mit massiven Verbesserungen der Arbeitsbedingungen wie z.B. Arbeitszeitreduktion und Rentenalter 63 für alle die Schicht am Krankenbett arbeiten.
Therese M.

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