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«Die Pflege ist die Lösung, nicht das Problem!» - Schweizer Pflegekongress 2024, 2. und 3. Mai 2024 in Bern

Die finanziellen Schwierigkeiten der Spitäler warfen ihren Schatten auch auf den Schweizer Pflegekongress. Die Teilnehmenden verabschiedeten eine Resolution, die fordert, dass die Finanzierungskrise nicht auf dem Buckel der Pflege ausgetragen wird. Der politische Freitagvormittag war aber nicht der einzige Höhepunkt. Nur soviel: Im 2025 lohnt sich ein Kinobesuch…

Text: Martina Camenzind, Nicole Eggimann

Mit tosendem Applaus und einer stehenden Ovation nahmen die Teilnehmenden am zweiten Kongresstag im Anschluss an die beinahe schon traditionelle Politdebatte eine Resolution an. Sie stellten damit deutliche Forderungen an die Entscheidungsträger:innen in der kantonalen und nationalen Politik, aber auch in den Institutionen: Anstatt die aktuelle Finanzierungskrise auf dem Buckel der Pflege auszutragen, müsse die Pflegeinitiative rasch und vollständig umgesetzt werden.

Gut 26 Stunden früher hatte Thomas Zeltner, der Präsident des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) den Kongress eröffnet. Er nutzte die Gelegenheit, den Pflegenden einen grossen Dank auszusprechen. Das SRK – «alt und manchmal etwas gebrechlich» – war 1866 gegründet worden und habe relativ lang kaum etwas zu tun gehabt: «Es stand ‹on hold› für Kriege und Krisen, die nicht eintraten.» Erst 1899 fand das SRK eine echte Aufgabe, und zwar mit der Gründung der Lindenhofschule für Pflege in Bern. «Während hundert Jahren war das SRK der Heimathafen der Pflegeberufe, setzte Standards, vergab Diplome und verankerte als konfessionell neutrale Organisation die Menschlichkeit im Beruf», hielt der ehemalige BAG-Direktor fest. Mit den Kursen für Pflegehelfende SRK arbeite das SRK weiterhin daran, Menschen einen Einstieg in die Pflegebranche zu ermöglichen. In Zukunft wolle man diese Arbeit ausbauen, als Beitrag für die Integration von Migrant:innen. Sie sollen vermehrt auch gezielt gefördert werden, damit sie weiterführende Ausbildungen absolvieren und zur Entlastung des Gesundheitssystems beitragen können. Und auch Freiwillige und Angehörige möchte das SRK stärker unterstützen, da sie einen wichtigen Beitrag in der Versorgung leisten. 

 

Politik stärkt Pflege

Sophie Ley und Yvonne Ribi gaben dem Publikum einen Überblick darüber, was aktuell politisch geschieht: «Wir haben die Pflegeinitiative gewonnen, der Bundesrat, das Parlament und Kantone haben nun den Auftrag, den Bundesverfassungsartikel umzusetzen», sagte Yvonne Ribi: «Sie sind gezwungen, über die Pflege zu sprechen und müssen eine Umsetzung vorschlagen.» Eine Milliarde Franken werden dank dem Zusammenhalt der Pflege ab Juli in die Ausbildungsoffensive investiert. Zudem kommt ein 24-jähriges Projekt für den SBK zum Abschluss, ein Projekt, das 2003 mit der Motion Joder begann und nun ab Juli umgesetzt wird. Es handelt sich um die Umsetzung des eigenverantwortlichen Bereichs, das heisst, dass Pflegefachpersonen keine ärztliche Anordnung mehr benötigen, um typisch pflegerische Tätigkeiten im Spitex-Bereich und in den Heimen (in den Spitälern ist es schon so) abzurechnen. Der spontane Applaus ging nicht nur an Yvonne Ribi, sondern an all die Frauen und Männer, die sich in den letzten 24 Jahren dafür eingesetzt haben.

Ribi zählte die vier Prioritäten auf: Personaldotation, Arbeitsbedingungen, Finanzierung und Reglementierung. Der SBK fordert eine vollständige Umsetzung der Pflegeinitiative – denn nur mit einer bedarfsgerechten Personaldotation sei eine qualitativ hochwertige Pflege möglich. Und nur mit besseren Arbeitsbedingungen könne die Berufsverweildauer verlängert werden. Zudem brauche es Investitionen in die Planbarkeit und Zulagen für kurzfristiges Einspringen sowie Anreize. Damit all diese Massanahmen finanziert werden können, seien angemessene Tarife zur Finanzierung der Pflegeleistungen nötig. «Wir wissen, dass die Pflegetarife in allen Bereichen zu tief sind. Pflege ist nicht ausfinanziert». Stringente, wirkliche, echte Massnahmen seien gefragt: «Das ist eine Frage des Willens. Wir haben berufliche Entwicklungsmöglichkeiten, die umgesetzt werden müssen. Da sprechen wir von der Reglementierung der Masterstufe und der Rolle der Pflegeexpert:in APN.» Zu alldem müsse der Bundesrat etwas sagen. Kurz: «Wir sind dran, es läuft etwas. Wir sind Thema. Wir sind Teil der politischen Diskussion und man muss und wird über uns sprechen.»

 

Zu früh für Dankbarkeit

Am Freitagmorgen war die Berner Ständerätin Flavia Wasserfallen an der Reihe, das Publikum zu begrüssen. Sie verglich die Situation der Pflege mit jener der Profifussballerinnen. Diese hatten mit einem Manifest Verbesserungen gefordert. Es sei «eigentlich» viel gegangen, erzählten zwei von ihnen in einem Podcast: «Wir müssen die Trikots nicht mehr selber waschen, die Physiotherapie nicht mehr selber bezahlen, haben eine eigene Garderobe und einige erhalten eine bescheidene Entschädigung, damit sie ihre 100-Prozent-Arbeitsstelle etwas reduzieren können.» Sie hätten aber das Gefühl, sie müssten jetzt dankbar sein, und das werde auch erwartet – doch eigentlich seien sie noch nirgends und müssten immer weiter fordern. «Da habe ich an die Pflege denken müssen», sagte Wasserfallen. Die habe zwar kein Manifest, aber ein überdeutliches Ja zur Pflegeinitiative – «mehr geht eigentlich nicht». Und es sei auch einiges gegangen, machte die Ständerätin klar: Die erste Etappe der Umsetzung mit der Ausbildungsoffensive und der eigenständigen Abrechnung wurde vom Parlament verabschiedet, und dank des Drucks des SBK seien dabei auch unnötige Hürden und Vorbehalte ausgemerzt worden. Die Medienberichterstattung und die Sichtbarkeit der Pflege hätten zugenommen, einige Institutionen hätten die Arbeitsbedingungen und die Abgeltung verbessert und die zweite Etappe sei in Arbeit (und wurde kurz nach dem Kongress präsentiert, nicht wirklich zur Zufriedenheit des SBK). «Und jetzt? Wird jetzt Dankbarkeit erwartet, ist das das Ende der Fahnenstange?» Nein – man sei noch so weit vom Ziel entfernt und eigentlich wüssten alle, dass sich das Gesundheitswesen und seine Finanzierung grundlegend ändern müssten, damit der unglaubliche Druck auf das Gesundheitspersonal endlich aufhöre. Dazu gehörten nicht nur die Umsetzung der Pflegeinitiative, sondern auch die Beseitigung von Fehlanreizen und vor allem auch eine angemessene Restfinanzierung der Langzeitpflege. 

 

«Unsere» Politiker:innen

Gemeinsam mit Flavia Wasserfallen und der aktuellen Präsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission Barbara Gysi, die per Videobotschaft versprach, sich mit vollem Engagement weiter für die Pflege einzusetzen, sind seit den Wahlen im letzten Jahr auch zwei Pflegefachpersonen im Nationalrat: Farah Rumy und Patrick Hässig wurden vom Publikum begeistert empfangen. Sie machten klar, dass es für sie extrem wichtig sei, weiter im Beruf aktiv zu sein, Farah Rumy als Berufsschullehrerin, Patrick Hässig auf dem Kindernotfall. Dank ihrer Kontakte zur Basis kennen sie die Situation in den verschiedenen Versorgungsbereichen. Und auch wenn beide nicht in der Sozial- und Gesundheitskommission sind, sind sie überzeugt, dass sie die Parlamen­tarier:innen in diesen Kommissionen mit ihrem Wissen, ihrer Erfahrung und ihren Kompetenzen unterstützen und so viel Einfluss nehmen können. 

 

Mit neuster Technik und fast auf dem roten Teppich

Der Berufseinstieg war eines der Schwerpunktthemen am Kongress. Dank der Unterstützung der Insel- und der Lindenhofgruppe konnten über 300 Studierende und Praktikant:innen gratis am Kongress teilnehmen. Im Studium kommen zunehmend neue Technologien zum Einsatz. Das Bildungszentrum Pflege Glarus präsentierte in einer Keynote und in einem Workshop die gemeinsam mit einer Churer Firma entwickelten Virtual-Reality-Umgebungen, mit denen (nicht nur) Studierende von den Vorteilen dieser Lernform profitieren können. Auch setzt sich verstärkt die Einsicht durch, dass Berufseinsteigende besser unterstützt werden müssen. Zum Abschluss am Freitag stellten die Spitäler des nördlichen Kantons Waadt ihr Programm vor, wie sie den Berufseinsteigenden einen «gepflegten Empfang» bereiten. 
Auch wenn der Spruch von der «Krise als Chance» etwas abgenutzt klingen mag: «Es ändert sich überhaupt nichts», entspricht nicht den Tatsachen. Die zwei Kongresstage haben gezeigt, dass vieles in Bewegung ist. Ebenso klar ist aber auch, dass es noch nicht Zeit für Dankbarkeit ist. Die Pflegenden müssen weiter ihre Forderungen stellen, in den Betrieben und in der lokalen, kantonalen und nationalen Politik. «Wer nichts fordert, erhält auch nichts» – die Feststellung von Flavia Wasserfallen gilt für die Fussballerinnen genauso wie für die Pflegenden. Es gilt, am Ball zu bleiben, bis die Pflegeinitiative umgesetzt ist. Zur Erholung drängt sich 2025 ein Kinobesuch auf, wenn «Heldin», der neue Film von Regisseurin Petra Volpe in die Kinos kommt. Er könnte das Zeug dazu haben, die schwierige Situation der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner wieder ins Bewusstsein der Menschen zu bringen.

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Dieser Schwerpunkt erschien in der Ausgabe 6/2024 der Krankenpflege, der Fachzeitschrift des SBK.

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