Pflege stärken für eine qualitativ hochstehende Rehabilitation

Die Rehabilitations-Angebote werden laufend erweitert und angepasst. Somit sind auch die Pflegefachpersonen stark gefordert, sich den ändernden Bedürfnissen der Patien­ti:nnen sowie den Rahmenbedingungen anzupassen. Die Rollen in der Rehabilitationspflege entwickeln sich kontinuierlich weiter und werden in die Praxis implementiert.

Text: Myrta Kohler, Stephan Behr, Claudia Gabriel, Karin Roth


Rehabilitationspflege ist ein relativ junger Berufszweig, der gefordert ist, sich kontinuierlich rasch ändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Im schweizerischen Kontext werden die Definition als auch das Kompetenzprofil der Rehabilita­tionspflegenden diskutiert, eindeutige Aussagen diesbezüglich gibt es nicht. Rehabilitationspflege definieren zu wollen, kann unterschiedliche Treiber haben. Einerseits gibt es Bestrebungen, um die finanziellen Aufwände beschreiben zu können; andererseits kann die Wirksamkeit der Rehabilitationspflege nur dann untersucht werden, wenn bekannt ist, was diese überhaupt beinhaltet.

 

Fördern, befähigen, helfen und stimulieren

Die Rolle der Rehabilitationspflege wurde international vor allem im Kontext der Rehabilitation von Patient:innen mit Hirnschlag untersucht. Es wurde zum Beispiel ein praxis-orientiertes Modell entwickelt, in dem die Beziehung zu der Patientin, dem Patienten in den Fokus gestellt wird und wie diese einen Einfluss auf alle pflegerischen Handlungen hat. Im Modell wird beschrieben, dass Pflegefachpersonen ihre Interventionen ständig der Situation anpassen müssen. Hervorgehoben werden dabei Fähigkeiten wie «supervidieren», «fördern», «befähigen», «helfen und stimulieren» sowie «assistieren».

In der Rehabilitationspflege ist es demnach sehr wichtig, nur so viel wie nötig einzugreifen und der betroffenen Person Zeit und Raum zu schaffen, eigene Fähigkeiten (wieder) zu erlangen (Kirkevold, 2010; O’Connor, 2000). Rehabilitationspflege ist somit geprägt von einem unterstützenden und positiv-bewusst «nicht-unterstützenden» Charakter. Das heisst, die Pflegefachperson wählt, in wechselnden Situationen, die Unterstützung, die das grösstmögliche Förderungspotenzial bietet. Die aktive und perspektivische Teilhabe der betroffenen Person und ihrer Familie und die Erreichung oder Umsetzung der eigenen, bedeutungsvollen Ziele beinhaltet einen hohen edukativen Anteil sowie eine stetige emotionale Begleitung im Rehabilitationsprozess (Aadal et al., 2013).

 

Leadership und pflegegeleitete Interventionen

Bei einem in den USA entwickelten Rollenmodell stehen die vier Domänen Leadership, pflegegeleitete Interventionen, interprofessionelle Versorgung sowie Förderung einer erfolgreichen, lebenswerten Zukunft im Zentrum (Vaughn et al., 2016). In einer in Deutschland durchgeführten qualitativen Studie hat sich ebenfalls gezeigt, wie wichtig rehabilitative therapeutische Pflege ist. Dazu gehören Fähigkeiten der Beobachtung, der Wahrnehmung sowie der Kommunikation. Zudem wurde das Fachwissen als wesentliches Element gesehen, um zielgerichtet zu beobachten, adäquate Behandlungsziele festzulegen und geeignete Interventionen davon ableiten zu können (Lautenschläger, 2015).

Auch in der Schweiz gibt es Bestrebungen, Rehabilitationspflege zu beschreiben und zu definieren. In einer von Suter-Riederer et al. (2018) durchgeführten Delphi-Studie zeigte sich, dass die konsequente Orientierung an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten sowie deren Familien als sehr wichtige Elemente in der Rehabilitationspflege bewertet wurden. Ein weiteres Resultat war, dass die Rehabilitations-Pflegefachpersonen es als ihre Aufgabe sehen, die Sichtweise der Patient:innen im interdisziplinären Team zu vertreten.

 

Pflege im multidimensionalen Prozess

Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass Pflegefachpersonen in der Rehabilitation ein zentrales Element sind. Sie sind in alle Aspekte des multidimensionalen Rehabilitationsprozesses involviert. Eines der wichtigsten Merkmale der Pflegefachpersonen ist, dass sie die Berufsgruppe sind, die eine vertiefte Beziehung zu den Patient:innen sowie ihren Familien aufbauen können. Somit erhalten sie einen erweiterten Einblick in die persönliche Situation, aber auch bezüglich des Gesamtkontexts, was für den Rehabilitationsprozess sehr bedeutend ist. Die Pflege in der Rehabilitation muss deshalb unbedingt gestärkt werden, um eine qualitativ hochstehende Rehabilitation gewährleisten zu können (Gutenbrunner et al., 2022).

 

Projekt zur Förderung der ­Rollenvielfalt

Ein wichtiger Aspekt zur Stärkung der Rehabilitationspflege ist die Förderung der spezifischen Rollen und deren Bekanntmachung. Dies, damit solche Rollenmodelle als Inspiration und Vorbild genutzt werden oder auch als Grundlage für die Entwicklung eigener Rollen gesehen werden können. Aus diesem Grund hat die Interessengemeinschaft für Rehabilitationspflege gemeinsam mit der Akademischen Fachgesellschaft für Rehabilitationspflege eine Broschüre zur Rollenvielfalt in der Rehabilitationspflege erarbeitet.

 

«Rehabilitatives Denken» schulen und fördern

Um zukünftigen Herausforderungen in der Rehabilitationspflege begegnen zu können, soll aus unserer Sicht an verschiedenen Punkten angesetzt werden. Prinzipiell ist es wichtig, dass Themen und Konzepte der Rehabilitation konsequent in den Grundausbildungen unterrichtet werden, nur so kann «rehabilitatives Denken» schon frühzeitig einen Einfluss auf die pflegerische Interaktion haben. Wir vertreten diesbezüglich die Haltung, dass rehabilitative Pflege in sämtlichen Settings ein wichtiger Aspekt in der pflegerischen Betreuung ist. Dabei ist wichtig, dass die Bedürfnisse der Betroffenen und ihrer Familien im Zentrum stehen und sich pflegerische Interventionen zielgerichtet auf die Performanz im Alltag fokussieren.

Zudem ist wichtig, rehabilitative Pflege weiterzuentwickeln – spezifisch auf ein Setting bezogen, wie zum Beispiel die Beschreibung der Rolle der Pflege in der onkologischen Rehabilitation (Mayrhofer et al., 2021), oder aber auch durch Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die spezifische pflegerisch-rehabilitative Interventionen analysieren, wie das Imhof et al. (2015) bei der Studie der mobilitätsfördernden Pflegeintervention untersucht haben. Auch müssen wir uns weiterhin mit der Frage beschäftigen, welche Inhalte rehabilitative Pflege hat, unter anderem auch, um ihre Finanzierung zu begründen und zu sichern.

Die zunehmende Multimorbidität der Betroffenen stellt die Pflegefachpersonen vor die Herausforderung, dass sie nicht nur Expert:innen sind in Rehabilitationspflege, sondern auch zu Erkrankungen, die während des Rehabilitationsprozesses eine wichtige Rolle spielen. So unterstützt die Pflegeexpertin auch die psychische Gesundheit – zum Beispiel in der Rehabilitation von querschnittgelähmten Patien­t:innen, wenn diese zusätzlich zur Querschnittlähmung bereits bestehende oder auch neu diagnostizierte psychische Erkrankungen haben.

 

Skills and Grades für die optimale Pflege

Die ständige Auseinandersetzung bezüglich Skills and Grades ist ein weiteres Thema, das uns in der Rehabilitationspflege beschäftigt. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und personeller Fluktuationen ist es umso wichtiger, die Pflegequalität zu fördern und individuell nach Lösungen zu suchen, um optimale Pflege anbieten zu können. In der Diskussion der erweiterten Rollen ist es aus unserer Sicht zentral, dass die Skills der Pflegeperson der jeweiligen Rolle entsprechen und dass beim Grade aus verschiedenen Gründen Kompromisse gesucht werden sollten. So gibt es zum Beispiel Pflegende in der Rehabilitation, die durch ihre langjährige Arbeit ausgezeichnete Skills haben, ohne jemals einen weiteren Grade abgeschlossen zu haben. Auch diese Personen sind für die optimale Versorgung der Patient:innen ein wichtiges Bindeglied.

Wir möchten mit der Darstellung der Rollenvielfalt in der Rehabilitationspflege einerseits aufzeigen, dass es in der Rehabilitation viele attraktive Entwicklungsmöglichkeiten gibt. Zudem sollen die Rollen auch als Vorbilder und Inspiration gesehen werden, eigene Rollen zu entwickeln und sich dabei von den Bedürfnissen bzw. vom Bedarf leiten zu lassen.

 

 

Autor:innen

Myrta Kohler Prof., Dr., MScN, RN: Co-Präsidentin Akademische Fachgesellschaft Rehabilitationspflege, Leiterin Entwicklung und Forschung Pflege Klinken Valens, Leiterin Kompetenzzentrum Rehabilitation & Gesundheitsförderung Ostschweizer Fachhochschule

Stephan Behr MScN, RN: Co-Präsident Akademische Fachgesellschaft Rehabilitationspflege, Pflegeexperte, REHAB Basel

Claudia Gabriel MScN, RN: Co-Präsidentin Interessengemeinschaft Rehabilitationspflege, Pflegeexpertin APN-CH Neuro Nurse, Luzerner Kantonsspital

Karin Roth MPH, RN: Mitglied Vorstand IGRP, Teamleiterin Kurswesen XUND, Master of Public Health, Pflegefachfrau HF mit 20 Jahren Berufserfahrung in Rehabilitationspflege

Dieser Schwerpunkt erschien in der Ausgabe 1/2023 der Krankenpflege, der Fachzeitschrift des SBK.

11 Mal pro Jahr erscheint die dreisprachige Fachzeitschrift für die Pflege. Mitglieder des SBK erhalten sie frei haus. Andere Interessierte können die Fachzeitschrift abonnieren. Ein Jahresabonnement kostet 99 Franken.

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Broschüre Rollenvielfalt

Die Broschüre zur Rollenvielfalt in der Rehabilitationspflege wurde herausgegeben von der Interessensgemeinschaft für Rehabilitationspflege (IGRP) und der Akademischen Fachgesellschaft für Rehabilitationspflege (AFG) des Schweizerischen Vereins für Pflegewissenschaft (VFP). Dabei wurden Interviews mit 18 Pflegefachpersonen in unterschiedlichen Rollen geführt. Es war von Interesse, wie diese Rollen entstanden und inhaltlich ausgestaltet sind. Zusätzlich wird aufgezeigt, welche Schwerpunkte die/der Rolleninhaber:in beschreibt, den Nutzen für die Praxis aber auch was die interviewte Person unter Rehabilitationspflege ver-steht. Die Gespräche wurden aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen online oder telefonisch geführt.Die Interviewerin Mechtild Willi Studer, die von den beiden Fachgesellschaften engagiert wurde und über fundiertes Wissen bezüglich Rehabilitationspflege verfügt, hat die Interviews verschriftlicht.Bei ausgewählten Rollen wurde zudem eine «Zweitsicht» dargestellt, dabei kam eine Person zu Wort, die eine Aussage zur Rolle tätigte, also z.B. eine Teamkollegin oder ein Arzt. Entstanden sind die in der Grafik dargestellten Rollenbeispiele für unterschiedliche Niveaus ab Stufe Pflegefachperson HF bis hin zu den akademischen Abschlüssen Bachelor, Master und Promotion.

Die Broschüre «Rollenvielfalt in der Rehabilitationspflege» kann mit folgendem Link heruntergeladen werden: https://bit.ly/3Ubf90v

«Einzigartigkeit erfassen und Neugierde wecken»

Im Reha-Prozess sei die physische und psychische Unterstützung zentral, sagt Ursula Blättler, die eine onkologische Pflegesprechstunde anbietet. Sie ist eine von 18 porträtierten Pflegefachpersonen in der Broschüre «Rollenvielfalt in der Rehabilitationspflege».

Wie gestalten Sie Ihre Rolle?
Ursula Blättler: Die onkologischen Patient:innen kommen nach einem operativen Eingriff oder einer Therapie für die Rehabilitation zu uns. Ich beschäftige mich mit der Diagnose und Anamnese und gehe dann proaktiv auf den Betroffenen zu. ­Jeder Mensch ist einzigartig, auch bei deckungsgleicher Diagnose. Es wird geschätzt, wenn ich mir Zeit nehmen kann für die Lebensgeschichte und alle Wissensfragen, die im Gespräch aufkommen. In der Reha ist Zeit da, sich mit den Konsequenzen der Krankheit zu beschäftigen. Ich stütze mich auf die familienzentrierte Pflege ab. Die Nachfolgebetreuung wird bei der Reha-Visite besprochen. 

Welches sind Ihre Arbeitsschwerpunkte und die damit ­verbundene Herausforderungen?
Am meisten profitieren die betroffenen Personen und die Berufskolleg:innen. Letztere sind wissenshungrig und offen, sich Neues anzueignen, um es in ihrer Arbeit anzuwenden. Ein einziger Patient wollte bislang die Sprechstunde nicht nutzen. Er hatte sich eine rein kognitive Verarbeitungsstrategie zugelegt, was natürlich respektiert werden muss. 

Wie gehen Sie persönlich mit der Belastung um?
Ich begleite die Patient:innen nur über eine kurze Dauer und kann mich gut abgrenzen. Ich habe gelernt, dass es keine Frage nach Gerechtigkeit gibt, sondern dass die Krankheit wahrscheinlich zur Lebensgeschichte gehört. Es kann jeden treffen. 

Wie interpretieren Sie Ihr Rehabilitationsverständnis?
Die Rehabilitation ist eine spezifische Anschlussversorgung nach einem Spitalaufenthalt und die Vorbereitung, um nach Hause zu gehen. Es geht um eine physische und psychische Unterstützung im Reha-Prozess: Trainings und Handlings zur bestmöglichen Vorbereitung für zu Hause, evt. mit Spitex. Das bio-psycho-soziale Modell (ICF) der WHO ist eine nützliche Voraussetzung, die vom ganzen Team verstanden und angewendet wird. Die psychische ­Begleitung und die eigene Motivation sind von zentralem Wert. 

Welchen Nutzen hat die Onko-Pflegesprechstunde für die Praxis?
Ich werde den Nutzen im Rahmen eines Pilotprojekts in meiner Masterarbeit untersuchen. Dabei geht es um die Wissensvermittlung an die Pflegenden mittels Skill-Training. Hierzu habe ich einen Leitfaden erstellt. Mittels den Pflegesprechstunden werden offene Fragen/Themen mit den Patient:innen besprochen. 

In welche Richtung wird sich die Rehabilitation von onkologischen Patient:innen entwickeln?
Der Bedarf an stationärer Rehabilitation für onkologische Patient:innen wird sicher zunehmen. Die Finanzierung von pflegerischen Beratungsleistungen ist nicht vollständig geklärt. Ich wünsche mir ein externes Netzwerk an Spezia­list:innen, wo ich mich gern auch an Forschungsprojekten beteiligen würde. Nach innen gäbe es ebenfalls einen Vernetzungsbedarf, etwa mit den Psycholog:innen, den Wund- und Stomaexpert:innen und den onkologischen Ärzt:innen. Wir stehen erst am Anfang.

Interview: Mechtild Willi Studer

 

Pflegefachfrau Onkologiepflege

Ursula Blätter

Arbeitsort: Klinik Adelheid
Stellenbezeichnung: Pflegefachfrau BSc, Expertin Onkologie­pflege, MAS Onkologiepflege in Ausbildung
Seit wann gibt es diese Rolle/Stelle: seit Januar 2021.
Im Rahmen eines Pilotprojekts werden zwei onkologische Pflegesprechstunden pro Woche angeboten.
Wie ist sie entstanden: Zur Anerkennung der internisti­sch onkologischen Rehabilitation durch Swiss Reha.
Die Leistungs- und Qualitätskriterien lösten den Entwicklungsschub aus.

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